Erfolgreiches Qualitätsmanagement in produzierenden Unternehmen
Erkenntnisse einer internationalen Industriestudie

Robert Schmitt, Sebastian Schmitt, Alexander Linder, RWTH Aachen, Frank Lesmeister und Daniel Spindelndreier, Boston Consulting Group GmbH

Die Sicht auf Qualität als kritischen Wettbewerbsfaktor hat sich nicht nur in den westlichen Industrieländern etabliert, sondern ist auch in Schwellenländern auf dem Vormarsch. Im Umfeld komplexer werdender Produkte und steigender Kundenerwartungen versuchen viele Unternehmen mit breit angelegten Qualitätsinitiativen Kosten zu senken und die Marktchancen ihrer Produkte zu steigern. Im normativ geprägten Qualitätsmanagement existieren hierzu jedoch wenige Handlungsanweisungen, was den Erfolg der Initiativen einschränkt. Im Rahmen einer internationalen Studie zum Qualitätsmanagement in produzierenden Unternehmen wurden kritische Erfolgsfaktoren und Best Practices auf dem Weg zur nachhaltigen Etablierung eines effektiven Qualitätsmanagements identifiziert. Auf Grundlage einer entwickelten Reifegradbewertung wird es Unternehmen ermöglicht, den Status des eigenen Qualitätsmanagements zu erkennen und weitere Handlungsschritte zu identifizieren.

Zahlreiche Unternehmen, vor allem Top-Unternehmen, haben ihr Qualitätsmanagement weiterentwickelt, indem sie es über die reine Qualitätssicherung hinaus in erweiterte Bereiche ausgedehnt haben. Dieses interdisziplinäre Qualitätsmanagement beinhaltet nicht mehr ausschließlich produktionsnahe Aktivitäten, wie z.B. die Qualitäts- und Prüfplanung. Vielmehr basiert es auf einem Managementsystem, welches die operative, ressourcenorientierte und die führungsorientierte Perspektive mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung verbindet. Die durchgeführte internationale Studie hatte zum Ziel, den Umsetzungsstand des interdisziplinären Qualitätsmanagements in der fertigenden Industrie zu untersuchen. Über diese Untersuchung hinaus konnten Best Practices und Hemmnisse bei der Umsetzung identifiziert werden. Für die im Jahr 2012 durchgeführte Studie wurden mehr als 150 produzierende Unternehmen aus den Ländern Deutschland, Frankreich, Kanada, USA, Skandinavien, Indien und China aus einer Reihe von Industriezweigen von der Pharmaindustrie bis zur Automobilindustrie befragt. Im Anschluss an die Befragung konnten in mehr als 25 persönlichen Interviews detaillierte Hintergrundinformationen gesammelt werden und direkt mit den Studienteilnehmern diskutiert werden. Kernbereiche der Studie waren die Bereiche Forschung & Entwicklung, Produktion und das Beschaffungswesen.

 


Bild 1: Das Aachener Qualitätsmanagementmodell [1].


Drei Perspektiven für die Qualitätsverbesserung

Geht man der Frage nach, welche Bereiche ein modernes Qualitätsmanagement einbeziehen muss, finden drei wesentliche Perspektiven Berücksichtigung. Auf dem Weg zu exzellenter Qualität in Produkten und Prozessen müssen neben der Kunden- und Marktperspektive auch die Unternehmensführung und die verfügbaren Ressourcen betrachtet werden. Es gilt, die Kundenerwartungen mit der Unternehmensausrichtung und den Unternehmensfähigkeiten in Einklang zu bringen. Entsprechend dieser Sicht auf das Qualitätsmanagement wurde das Aachener Qualitätsmanagementmodell (Bild 1) als Strukturierungsgrundlage für die Durchführung der Studie gewählt. Das Aachener Qualitätsmanagement Modell integriert hierzu die drei Ebenen Management, Quality Stream und Ressourcen & Dienste zu einem ganzheitlichen Gestaltungsrahmen aller Aktivitäten des Qualitätsmanagements. Die Management Ebene umfasst sämtliche Führungsaktivitäten und -strukturen zur Lenkung der Leistungserbringung. Hierzu gehören die Festlegung von Zielen und Strategien sowie die Gestaltung der Managementsysteme für deren Umsetzung. Der Quality Stream beschreibt den Produktentstehungsprozess von der Aufnahme der Marktforderungen bis zur Lieferung des Produkts. Die Quality Backward Chain beinhaltet die Rückführung von Felddaten für die ständige Anpassung und Verbesserung der Unternehmensprozesse. Zur Ebene der Ressourcen & Dienste gehört die Bereitstellung von fähigen Ressourcen in Form von Betriebsmitteln und geeigneter Infrastruktur sowie qualifizierten Mitarbeitern. Erfolgreiche Unternehmen verbessern ihr Qualitätsmanagement auf allen drei Ebenen. 


Management: Qualitätskultur und Verbindlichkeit

In der Umfrage wurde deutlich, dass einer der größten Einflussfaktoren auf die Qualität der Produkte die gelebte Qualitätskultur im Unternehmen ist. Das wichtigste Merkmal in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass begangene Fehler kein Übel darstellen, sondern eine Möglichkeit der stetigen Verbesserung sind, wie es vor allem bei leistungsstarken Unternehmen praktiziert wird. Fehler werden erkannt, dokumentiert, ihre Ursachen analysiert und abgestellt. Um diese Qualitätskultur in das Unternehmen zu tragen, initiieren viele Firmen Verbesserungsinitiativen, wie bspw. Six Sigma oder Lean Management. Besonders beliebt sind hierbei ganzheitliche Initiativen für Qualitätsverbesserungen. In den letzten 5 Jahren haben 47 Prozent der befragten Unternehmen Six Sigma Programme eingeführt, 43 Prozent Zero-Defect Programme, 83 Prozent starteten kontinuierliche Verbesserungsinitiativen und 73 Prozent befassten sich mit Konzepten des Lean-Managements (Bild 2.1). Zum größten Teil waren die Unternehmen zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit den Ergebnissen ihrer gestarteten Qualitätsmanagementprogramme. Es wurde jedoch deutlich, dass vor allem kontinuierliche Verbesserungsprozesse und die Lean-Management-Ansätze besonders effektiv zur Verbesserung der Produktqualität beitragen. Bei der weiteren Analyse fiel, insbesondere im Rahmen der Interviews, dennoch auf, dass nicht die Art der gestarteten Programme ausschlaggebend für die guten Ergebnisse ist, sondern drei wesentliche Einflussfaktoren. Diese Faktoren sind als operative Stellhebel für die Verbesserung des Qualitätsmanagements aus der Führungsperspektive zu sehen.

Management Fokus: Die Steuerung des Qualitätsmanagements ist eine Führungsaufgabe. Dem Management obliegt die Verankerung von Qualitätszielen in der Unternehmenstrategie, die Kommunikation dieser und die konsequente Durchsetzung qualitätsorientierter Maßnahmen. In der täglichen Arbeit der Unternehmen steht Qualität  laut eigener Aussage  weit oben auf der Agenda. Dennoch werden Qualitätsthemen nur bei 24 % der Unternehmen wöchentlich im Top-Management behandelt (Bild 2.2). Im Idealfall besuchen Manager immer wieder die Produktionshallen um Qualitätsbelange mit den Mitarbeitern zu diskutieren und sorgen somit für eine hohe Sichtbarkeit der Relevanz des Themas. Zusätzlich werden Workshops durchgeführt um die Arbeiter für Qualitätsmanagement zu sensibilisieren. Durch das Vorleben dieser Qualitätskultur wird die Wichtigkeit des Unternehmensziels „Qualität“ an die Mitarbeiter weitergetragen. 

Vorschlagswesen: Zahlreiche Unternehmen der Studie haben betriebliches Vorschlagswesen im Unternehmen implementiert. Das bedeutet, dass jeder Mitarbeiter des Unternehmens Vorschläge zur Qualitätsverbesserung einbringen kann. Dem Erfolg der umgesetzten Maßnahme entsprechend kann der Mitarbeiter belohnt werden. Ungefähr 60 % der befragten Unternehmen bestätigen einen sehr hohen Anteil mitarbeiterinduzierter Verbesserungsideen (Bild 2.3). Das Prinzip soll einerseits die Mitarbeiter motivieren, am Unternehmenserfolg teilzuhaben, andererseits will das Unternehmen so die praktische Erfahrung der Arbeiter nutzen, um die Produktqualität nachhaltig zu steigern. Jedoch sind viele Unternehmen mit ihrem Vorschlagwesen nicht zufrieden, sowohl mit der Quantität als auch mit der Qualität der eingereichten Vorschläge. Oftmals fehlt das wichtige Feedback an den Mitarbeiter, insbesondere bei Nicht-Annahme des Vorschlags. Dadurch entsteht Frustration und die Motivation für zukünftige Vorschläge geht schnell verloren. Funktionierende Systeme für das interne Vorschlagswesen bedürfen folglich eines äußerst konsequenten Managements und eines transparenten Prozesses. Der Nutzen für Produkt- und Prozessverbesserungen sowie die Steigerung der qualitätsgerichteten Motivation sind jedoch enorm. 

 


Bild 2: Ergebnisse der Industriestudie (Quelle: Erhebung WZL, BCG). 

Interdisziplinäre Kaizen Teams: Um die Stellung von Qualität im Unternehmen zu unterstreichen, sind Angestellte häufig in direkte Qualitätsverbesserungsprojekte involviert (Bild 2.4). Viele der befragten Unternehmen nutzen Kaizen Teams statt oder zur Ergänzung des betrieblichen Vorschlagwesens. So liegt nicht nur das Unterbreiten eines Vorschlags in der Hand der Mitarbeiter, sondern auch dessen Umsetzung im Rahmen eines Verbesserungsprojekts. Wirklich effektiv werden die Kaizen Teams jedoch erst, wenn Verantwortliche unterschiedlicher Abteilungen zusammen kommen. Denn der Vorteil von abteilungsübergreifenden Teams ist, dass jede Veränderung nicht nur in Hinblick auf die Sichtweise einer Abteilung untersucht wird, sondern Verbesserungen im Einklang mehrerer Bereiche erreicht werden.


Quality Stream: Operational Excellence und Feedback

Das Qualitätsmanagement entlang der Wertschöpfungskette ist besonders im Bereich der Produktion geprägt durch Standardisierung und Qualitätssicherungsmaßnahmen. Neben der Produktion setzen sich standardisierte Prozesse aber auch in der Forschung & Entwicklung und dem Beschaffungswesen immer mehr durch. Häufig sind diese Änderungen durch normative Vorgaben getrieben und naturgemäß nur wenig durch die Mitarbeiter getragen. Es stellte sich zudem heraus, dass das Gesamtniveau der Prozessbeschreibung und Standardisierung einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Qualitätsverbesserung hat. Vielmehr helfen gezielte und konsequent durchgeführte Maßnahmen, die wertschöpfenden Prozesse zu lenken und ständig zu verbessern. 

Line Stops: Mehr als ein Viertel der Unternehmen der Umfrage gaben an, Line Stops anzuwenden (Bild 3.1). Dies bedeutet, dass  falls ein systematischer Fehler in der Produktionslinie auftritt,  die Produktion solange gestoppt wird, bis der Fehler wieder behoben ist. Bei Wiederholungsfehlern werden weitreichende Ursachenanalysen durchgeführt und Gegenmaßnahmen eingeführt. Die Realität spiegelt dies jedoch in den meisten Fällen nicht wider. Aufgrund von Zeit- und Kostendruck fallen tiefergehende Fehleranalysen häufig weg. So werden hohe Ausschussraten in Kauf genommen, auch wenn aufwendigere Analysen zukünftige Fehler verhindern würden und sich so auf lange Sicht viel Geld sparen ließe. 

Quality Gate: Sie stellen Kontrollpunkte dar, die mit klaren Zielen belegt sind und nur bei Erfüllung der Forderungen überschritten werden dürfen. Quality Gates in der Fertigung müssen eine Reihe von Kriterien erfüllen um effektiv zu sein. Testphasen müssen standardisiert werden und vor allem für jeden Arbeiter des Unternehmens verständlich sein. Außerdem müssen die Tests und der Zeitpunkt des Gates flexibel sein, sodass schnell reagiert werden kann, falls ein Fehler auftritt bzw. Gates wieder abgebaut werden, wenn die zugrunde liegende Fehlerursache nachhaltig beseitigt ist, um Ressourcen zu schonen.

Auch in den Bereichen der F&E werden von vielen der befragten Unternehmen Quality Gates eingesetzt. In einigen Industriezweigen, wie z.B. der chemischen Industrie oder der Automobilbranche, sind sie Standard. Jedoch ist es auch hier so, dass Zeit ein entscheidender Faktor ist. Die Interviews haben gezeigt, dass die Quality Gate Systematik in vielen Unternehmen nur solange funktioniert, bis der Serienstart des Produkts gefährdet ist. Die Konsequenzen der Qualitätsprobleme werden in der Produktion in Form von Nacharbeit (Bild 3.1) und hohen Kosten für die Qualitätssicherung getragen. An dieser Stelle wird die Abhängigkeit zwischen operativer Ausführung und der gelebten Qualitätskultur im Unternehmen deutlich. Jegliche Methoden, wie Line Stops oder Quality Gates, funktionieren nur bei konsequenter Umsetzung und hoher Verbindlichkeit der Entscheidungsfunktionen.

 


Bild 3: Ergebnisse der Industriestudie (Quelle: WZL, BCG).

 Integratives Verbesserungsmanagement: Neben dem präventiven Qualitätsmanagement entlang der wertschöpfenden Prozesse spielt die Rückführung von Feedback in Form von Qualitätsdaten eine wesentliche Rolle für die langfristige Verbesserung der Qualität. Die Studie zeigt, erfolgreiche Unternehmen schaffen es, interne und externe Informationsquellen zu konsolidieren und daraufhin Verbesserungsprojekte anzustoßen. Insbesondere ein breites Spektrum an Qualitätsfeedback aus dem Feld hilft den Unternehmen ein detailliertes Bild der Performance ihrer Produkte zu erlangen (Bild 3.2). Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Integration von Reklamations-, Fehler- und Felddatenmanagement zu einem durchgehenden Verbesserungsprozess mit einer einheitlichen Datenbasis. 


Ressourcen und Dienste: Der Faktor Mensch

Stabile, robuste Prozesse und ein starkes Bewusstsein für stetige Verbesserung der Qualität sind notwendige Attribute für Unternehmen, die im Bereich Qualität führend sein wollen. Jedoch müssen auch die Ressourcen dafür vorhanden sein. Neben der Qualifikation der Mitarbeiter ist ihre qualitätsgerichtete Motivation ein entscheidender Erfolgsfaktor. Führende Unternehmen investieren viel Geld in die Weiterbildung der Mitarbeiter im Bereich Qualitätsmanagement. So ist es in führenden Unternehmen so, dass jeder Mitarbeiter in jeder Abteilung ein Grundverständnis für Qualitätsmanagement besitzt. Die Studienergebnisse zeigen, dass effektives Training der Mitarbeiter ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Unternehmens ist. Positive Erfahrungen im Hinblick auf die qualitätsgerichtete Motivation der Mitarbeiter werden von Unternehmen gemacht, die ihren Mitarbeitern regelmäßig Feedback zu sowohl positiven als auch negativen Qualitätsthemen geben. Qualitätsfeedback wird dabei nicht nur in regelmäßigen Abständen an die Mitarbeiter in der Fertigung weitergegeben, sondern breit über alle Abteilungen verteilt (Bild 3.3 und 3.4). 


Reifegrade zum exzellenten Qualitätsmanagement

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die erfolgreichsten Unternehmen in allen drei Dimensionen einen hohen Standard setzen. In diesen Unternehmen sind Qualitätskultur, Arbeitsabläufe, Kommunikation und Mitarbeiterorientierung bereits weit entwickelt und werden dennoch stetig weiter entwickelt. Es ist offensichtlich, dass das Erreichen dieser Alleinstellung nicht mit einer großen Initiative zu erreichen ist. Es bedarf vielmehr einer kontinuierlichen Weiterentwicklung in allen drei Dimensionen. Um den Weg zu einem exzellenten Qualitätsmanagement für Unternehmen darzustellen, wurde ein Reifegradmodell entwickelt. Unternehmen können den Reifegrad ihres Qualitätsmanagement anhand mehrerer Bewertungskriterien in den drei Dimensionen mithilfe des sogenannten Quality Health Checks ermitteln und auf diese Weise Verbesserungen messbar machen. Die Auswertung des Reifegrad-Modells erfolgt über ein einfaches Spinnennetzdiagramm und verdeutlicht so leicht erkennbar Verbesserungspotenziale auf dem Weg zum Best-Practice. Bild 4 zeigt die Darstellung einer beispielhaften Auswertung. 


Bild 4: Reifegrad-Auswertung eines “Quality Health Checks”


Fazit

Die Ergebnisse der Studie und auch Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass große Qualitätsverbesserungen nur mit einem ganzheitlichen Ansatz zu erreichen sind. Grundlage ist eine qualitätsorientierte Unternehmenskultur, die von der Führung vorgelebt und ständig in das Unternehmen getragen wird. Operative Qualitätsmanagementmethoden funktionieren nur, wenn die Verbindlichkeit einer konsequenten Durchführung aus allen Unternehmens-
ebenen besteht. Die Erhöhung der qualitätsgerichteten Motivation der Mitarbeiter stellt somit einen wichtigen Hebel für den Erfolg eines ganzheitlichen Qualitätsmanagements dar.

Schlüsselwörter:

Qualitätsmanagement, Studie, Reifegradmodell, Kontinuierliche Verbesserung

Literatur:

[1] Schmitt, R; Pfeifer, T.: Qualitätsmanagement. Strategien, Methoden, Techniken, 4. Auflage. München 2010.